Von Arndt Wellbrock BaTB
Kennen Sie das auch? Man fällt beim Weckerrasseln schlaftrunken aus dem Bett und schon passiert die erste Katastrophe. An diesem Morgen war es mein 14-Zoll Uralt-Monitor, der ohne
Vorwarnung urplötzlich seinen Geist aufgab. Rasch fischte ich den Hochglanz-Prospekt einer bekannten ElektronikKette aus dem Papierkorb, wurde auf der letzten Seite bei einem 17-Zoll-Monitor für
sagenhafte 99 Euro fündig und setzte mich citywärts in Bewegung.
Im Konsumtempel angekommen, suchte ich mir zuerst die Hacken nach einem Verkäufer wund. Als ich schließlich einen ausgrub und ihn
bat, mir die Vorzüge meines ausgewählten Monitors zu erläutern, meinte dieser lapidar: „Da gibt es nicht viel zu erklären, dafür liegt doch die Installations-CD bei.“ Ich muss wohl sehr erstaunt
dreingeschaut haben, denn er fügte noch hinzu: „Was wollen Sie für 99 Euro schon erwarten?“ Das hätte mich eigentlich zum Schweigen bringen müssen, doch ich machte von meinem Recht als Kunde
Gebrauch, Fragen zu stellen und fragte: „Eigentlich interessiere ich mich viel mehr für die neuen LCD-Bildschirme. Was können Sie mir dazu sagen?“ Vielleicht können Sie sich die Antwort des
Kundenberaters schon ausmalen, die lautete: „LCD-Monitore stehen da vorne links – aber unter 300 Euro kriegen Sie keinen!“ Mit diesen Worten ließ er mich wort- und grußlos stehen. Mit einer
heiligen Wut im Bauch stürmte ich aus dem Elektronik-Babylon. Wenn mir ein Unternehmen derart deutlich zu verstehen gibt, dass es meinen Umsatz nicht will, dann tue ich ihm doch den
Gefallen!
Weil mir wohl noch die Zornesröte die Sicht vernebelte, wäre ich auf dem Weg zum Auto fast an einem kleinen Computerladen
vorbeigerannt, der keine 200 Meter vom Konsumtempel sein, wie ich glaubte, karges Dasein fristete. Einem Impuls folgend trat ich ein, wurde prompt begrüßt, sofort bedient, zu drei verschiedenen
Bildschirmtypen fachgerecht beraten, der Verkäufer fragte sogar nach Tippgewohnheiten und täglicher Nutzungsdauer, ob ich beim Tippen öfters Augenbrennen oder andere Beschwerden hätte und
verkaufte mir dann einen speziell augenschonenden LCD-Bildschirm für 559 Euro, den ich 200 Meter weiter sicher für 400 Euro bekommen hätte – doch da hätte ich ihn nie gekauft, selbst wenn die
Hölle zugefroren wäre.
Kennen Sie auch? Ist Ihnen auch schon passiert? Herzliches Beileid. Wo liegt der Unterschied? Klar, die Verkäufer im
Großflächenvertrieb sind nicht immer so verkäuferisch ausgebildet und motiviert, wie es sein sollte. Der kleine PC-Laden hat dagegen Spitzenkompetenz. Doch worin besteht diese genau? In der
exzellenten Beratung? Das glaubt der Laie. Der Fachmann sieht hinter die Kulisse des Erfolgs und erkennt, dass hier nicht nur kundenfreundlich beraten wird, nein, die komplette
Wertschöpfungskette dieses Betriebs ist auf den Kunden ausgerichtet; von der nachfragegeleiteten Programmpolitik über die transparente und schnelle Auftragsabwicklung bis zur sorgfältigen
Nachkaufbetreuung und der kundenorientierten Schulung der Mitarbeiter. Beim Kettenladen ist es genau umgekehrt: Da wird allerlei Ramsch eingekauft, der dann die Regale blockiert und von den
Verkäufern nicht abverkauft wird. Der Kettenladen denkt vom Anbieter aus in Richtung Markt und wundert sich dann, dass der Markt scheinbar nur noch auf Preissenkungen reagiert, die jedes
Unternehmen in den Ruin treiben.
Der kleine PC-Laden verfolgt die diametral entgegengesetzte Strategie: Er denkt vom Markt aus und passt dann rückwärts gehend jede
Wertschöpfungsstufe an diesen Markt an. Das nennt der Fachmann marktorientierte oder retrograde Strategiebildung. Ein Thema, das Topmanager und Vorstände zur Zeit brennend beschäftigt. Denn die
Retro Strategie ist eine Erfolgs-, Umsatz- und Existenzgarantie in hektischen oder kontraktiven Märkten. In Unternehmen mit Spitzenkompetenz steht die verkaufstechnische Seite an erster Stelle.
Man rollte die eigene Strategie und Wertschöpfung quasi vom Markt und Verkauf her kommend auf. Unserer Erfahrung nach ist das eine Schlüsselkomponente für Spitzenkompetenz. Alles, was in einem
Unternehmen passiert, wird quasi als integraler Bestandteil und Vorstufe des finalen Verkaufsvorgangs betrachtet. Die Einkäufer kaufen so ein, dass man das Endprodukt nachher tatsächlich optimal
verkaufen kann, die F&E-Leute entwickeln so, dass man es nachher verkaufen kann, die Verwaltung verwaltet so, dass der Verkauf optimiert statt restringiert wird ... und so
weiter.
Für die meisten Unternehmen bedeutet das eine strategische Neuausrichtung, bei der wir derzeit viele auch begleiten. Das
Unternehmen wandelt sich dabei von einer vorherrschenden Fertigungsoder Innovationsorientierung zur Verkaufsorientierung in Philosophie, Strategie, Organisation und Ablaufsteuerung. Hört sich
komplex an? Na! Wenn es der Tante-Emma-Laden schaffte, dann schaffen Sie es auch!